ÜBER MICH

Entdogmatisieren. Entideologisieren. Entwissenschaftlichen. Rehistorisieren.
Ich bin Politologe und Theologe mit kritischem Blick auf Sprache, Macht und Geschichte. Ich untersuche u.a., inwiefern Begriffe und Konzepte (z.B. „Islam”) historisch, politisch und kulturell geprägt wurden und immer noch werden – was sie ursprünglich bedeuteten und was sie heute bedeuten (könnten).
Menschlich. Werteorientiert. Praxisnah.
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Die Vorstellung einer „Ursprungsreligion“ ist nicht neu – sie taucht in christlich-missionarischen Kontexten ebenso auf wie in sunnitischen Bewegungen, die „Islam“ als diese Urreligion darstellen wollen. Dabei geschieht etwas Interessantes: Einerseits wird anerkannt, dass arab. „Islam“ im Koran eine Handlung beschreibt, die auch vorkoranischexistierte. Das ist nur möglich, wenn „Islam“ nicht als abgeschlossenes Konzept verstanden wird. Nach diesem Verständnis kann man durchaus sagen, dass „Islam“ nicht exklusiv und schon älter ist.
Doch was der Koran vor Mohammed als „Islam“ bezeichnet, würde in heutigen missionarischen Kreisen kaum als ausreichend akzeptiert. Dort gilt die abgeschlossene! Botschaft des Propheten als Endform und dogmatischer Höhepunkt, der defacto nur in der sunnitischen oder schiitischen Ausprägung verwirklicht sei (wobei ich sagen muss, dass ich sunnitische Mission deutlich aufdringlicher empfinde). Das ist bemerkenswert, denn selbst das Verständnis seiner ersten Zuhörer*innen in Mekka würde aus dieser Sicht nicht ausreichen.
Damit beanspruchen diese Konfessionen die Hoheit über den Begriff „Islam“ – und identifizieren ihn mit ihrem jeweiligenKonstrukt. In missionarischen Kontexten wird auch gern von „Revertieren“ statt „Konvertieren“ gesprochen: als ob die Annahme sunnitischer oder schiitischer Lehre ein Naturzustand sei.
Tatsächlich hat das aber wenig mit einem „Zurückkehren“ zu tun, sondern mit dem Eintritt in eine historisch entstandene, konfessionelle Tradition. Der Begriff „Revertieren“ kaschiert diesen Umstand jedoch elegant, teils manipulativ.
Und Mohammed? Er lehrte doch „den Islam“?! Also wo ist das Problem?
Er sprach von „Islam“ und stand mit seinem Wirken dafür ein – keine Frage. Aber eben in seiner Umwelt, in seinem Kontext, als eine Ausprägung von „Islam“, die er für seine Zeit entfaltete. Kein kodifiziertes, dogmatisiertes System.
Am Ende liegt das Problem oft in der Frage nach Exklusivität: Natürlich kann eine sunnitische oder schiitische Person „den Islam“ verkörpern. Aber ebenso auch Menschen aus anderen oder ohne Traditionen, wenn sie die Haltungen leben, für die u.a. prophetische Figuren standen – etwa das Streben nach Gerechtigkeit. Die eigentliche, unverhandelbare Wahrheit liegt nicht in konfessionellen Lehren, sondern in den Werten, die kontextgerecht immer wieder neu Gestalt annahmen.
Abschließend möchte ich eine Tradierung, die in sunnitischen Werken als authentisches Prophetenwort verstanden wird, exemplarisch aufgreifen und gemäß den genannten Gedanken hier weiterführen. Die von mir eingefügte Weiterführung ist farblich hervorgehoben.
„Jedes Neugeborene wird in einem natürlichen Zustand geboren. Erst die Eltern machen es zum Juden, Christen, Zoroastrier – oder eben Sunniten und Schiiten.“
Der Satz „Der Islam ist perfekt, Muslime machen Fehler.“ taucht so oder ähnlich in manchen Gesprächen oder Veröffentlichungen als eine scheinbare Grundregel auf.
Er wird oft als Verteidigungsschild verwendet: gegen Kritik von außen, aber auch gegen ein Hinterfragen von innen.
In diesem Beitrag greife ich den Islambegriff auf eine Weise kritisch auf, wie er in Kontexten verstanden wird, in denen der Satz „Der Islam ist perfekt.“ oft verwendet wird:
• als vom Himmel gefallene „Religion“,
• ohne jegliche menschlichen Einflüsse,
• als abgeschlossenes,
unveränderliches System.
In diesem Verständnis gilt „Islam” vor allem auch als Label und Zugehörigkeit, „Muslim” oft als Mitgliedsbezeichnung.
Verkannt wird dabei, dass dieses Konstrukt, das man hier „Islam“ nennt, die drei obigen Punkte in Wirklichkeit gar nicht erfüllt: Es ist historisch gewachsen, durch und durch menschlichen Einflüssen ausgesetzt, von Interpretationen geprägt und vor allem nicht abgeschlossen.
(Ich selbst verstehe „islam” weniger als einen theoretischen oder kodifizierten Korpus, sondern viel eher als eine Handlung(linguistisch im Arabischen ein Verbalsubstantiv) und muslim als denjenigen, der diese Handlung (im gegebenen Moment) verkörpert. In diesem Verständnis gibt es eigentlich keine künstliche Trennung zwischen einem „perfekten Islam“, als außerhalb des Menschen existierenden Systems, und „fehlbaren Muslimen“, die dem theoretische Rahmen nicht immer gerecht werden.)
Unter den zuvor beschriebenen Annahmen entfaltet der o.g. Satz aber seine typische Problematik und deshalb ist er hier Gegenstand der Analyse.
„Perfekt“ ist ein absolutes Konzept. Es bedeutet: etwas ist unabhängig von Raum, Zeit und Geschichte, frei von Veränderung oder Entwicklung.
Was heute als „Religion“ begriffen wird, entstand jedoch nicht im luftleeren Raum. Sie entstand in konkreten historischenSituationen, in bestimmten Sprachen, Kulturen und Machtverhältnissen.
Die „reine Form“ einer Religion ist meist ein nachträgliches Idealbild, das aus Fragmenten der Vergangenheit konstruiert wird, kein objektiver Ist-Zustand, der jemals in Gänze existiert hätte.
Was man als „Religion“ begreift, war außerdem IMMER Gegenstand von menschlicher Interpretation, ein neutrales, perfektes System das rein göttlich bleibt und keiner menschlichen Erläuterung bedarf, existierte nie (Exemplarisch sei hier allein die „Fiqh“-Disziplin).
Hinzu kommt ein verbreiteter Trugschluss. Um alle abzuholen: Unabhängig davon, ob man jetzt göttliche Inspirationüberhaupt annimmt oder nicht, wird oft so getan, als müsse etwas perfekt sein, nur weil es von Gott inspiriert oder offenbartsei – dabei müsste man selbst bei Ersterem davon ausgehen, dass zwischen einer vollkommenen Quelle und der menschlichenAufnahme, Deutung und Weitergabe immer ein Bruch besteht. Diesen anzunehmen ist menschlich, nicht problematisch.
Auch der Verweis auf „unveränderliche Grundlagen der Religion“ im Gegensatz zu veränderlichen Detailfragen ändert daran nichts – denn selbst diese Grundlagen sind nur in menschlicher Sprache, Auslegung und Geschichte zugänglich.
Allein die Tatsache, dass Religion durch menschliche Sprache überliefert werden muss (wie soll es auch anders gehen?!), ist bereits das erste Indiz, dass sie nicht neutral und unbeeinflusst (trotz „Bewahrungsdogmen” ) sein kann.
Die Gleichsetzung „göttlich inspiriert = perfekt“ ist selbst ebenfalls historisch gewachsen.
In frühen, oralen Kontexten galten Botschaften oft als passend für die jeweilige Situation, nicht als starres, fehlerloses, ja perfektes System. Mit der Verschriftlichung und Kanonisierung entstand der Eindruck eines abgeschlossenen Ganzen. Dieses Bedürfnis nach Perfektion war zuvor nicht wirklich da.
Im sunnitisch/schiitischen Kontext verstärkte das Dogma der Verfälschung früherer Schriften (arab. „tahrif”) wie die Bibel (vor allem ab dem 11. Jh. verstärkt) diesen Trend: Der Koran wurde in bestimmten Theologie-Kreisen nicht nur als göttlich inspiriert, sondern verstärkt als überzeitlich und universell verstanden. So verschob sich der Fokus von einer loseren Botschaft hin zu einem überzeitlichen Perfektionsideal.
Das vermutlich einzige funktionale Instrument, das bleibt, um das Perfektionsnarrativ aufrechtzuerhalten, ist das Autoritätsargument, nämlich, dass man Autoritäten und Gelehrten indirekt eine Art göttliche Perfektion übertragen möchte, indem man nur sie zu legitimen Auslegern, Grenzwächtern und Bewahrern der Religion stilisiert.
Oft wird der Satz „Der Islam sei perfekt, während lediglich Muslime fehlerhaft sein können“ gestützt durch den Vergleich: „Ein schlechter Arzt macht nicht die Medizin schlecht.“
Diese Analogie ist durchaus verlockend, aber fehlerhaft:
• Auch die Medizin ist nicht völlig neutral. Sie hat Irrtümer, historische Fehlannahmen, wirtschaftliche Interessen und blinde Flecken.
• Der entscheidende Unterschied: Medizin ist strukturell offen für Revision. Wenn ein Verfahren schadet, wird es (zumindest im Ideal) verworfen oder angepasst.
• Religion in der hier verstandenen Form beansprucht jedoch oft Unveränderlichkeit – gerade darin liegt der Widerspruch: Wer Perfektion hochhält, schließt Revision aus.
Der Satz greift außerdem auf eine bekannte logische Fehlschlussform zurück: den „No True Scotsman“.
Das Muster lautet: „Kein wahrer Schotte tut X“ – und sobald jemand X tut, heißt es, er sei eben kein „wahrer Schotte“.
Übertragen auf die Religion wird bei Fehlverhalten oft reflexartig gesagt: „Das ist nicht der wahre Islam.“
Oft steckt dahinter eine positive Intuition: Bestimmtes Fehlverhalten wird spontan als unvereinbar mit dem eigenen Verständnis von Islam empfunden.
Doch diese Reaktion blendet aus, dass häufig die eigenen religiösen Bezüge – Auslegungen, Texte, Strukturen – sehr wohl Teil eines historisch gewachsenen Konstrukts sind, das eben Teil des benannten Islambegriffs sind. Und in diesem Konstrukt können bestimmte Auslegungsformen oder institutionelle Rahmenbedingungen genau solche Fehlverhalten begünstigen.
Statt zu fragen, ob das Verhalten in den bestehenden Strukturen oder Lehren angelegt ist, wird es kurzerhand herausdefiniert, oder als persönliches Versagen dargestellt, etwa wenn jemand sagt: „Ich trage kein Kopftuch – der Islam ist perfekt, aber ich nicht.“
Es bleibt schlußendlich immer die Forderung, dass sich die Menschen anpassen, niemals die überlieferte Tradition.
Das mag kurzfristig Identität stiften, verhindert aber langfristig notwendige Entwicklungen.
U.a. weiterführende Literatur
- Fred M. Donner – Muhammad and the Believers
- Shahab Ahmed – What is Islam?
- Fazlur Rahman – Islam and Modernity: Transformation of an Intellectual Tradition
- Nasr Hamid Abu Zayd – Rethinking the Qur’an: Towards a Humanistic Hermeneutics
- Wael B. Hallaq – The Origins and Evolution of Islamic Law
- John Wansbrough – Quranic Studies
- Antony Flew – Thinking About Thinking (1975)
Das arabische Wort Daʿwa bedeutet „Ruf“ oder „Einladung“.
Das arab. Wort „Duʿa” für Bitte oder Bittgebet ist hiermit verwandt.
Im Koran wird die Verbform des Wortes oft im Kontext eines ethisch-moralischen(Handlungs-) Appells, auch im Sinne eines göttlichen Rufes an den Menschen. Damit greift der Koran die bei den Arabern gängige Bedeutungsnuancen des Wortes auf.
Daʿwa als Konzept der Bekehrungseinladung oder Mission gab es im 7. Jahrhundert nicht. Was Araber unter Daʿwa verstanden hätten, wäre weder strukturiert, noch auf modern verstandene Konversion fixiert.
Nach heutigem oft verbreitetem Verständnis in den meisten Konfessionen bedeutet Daʿwader Ruf bzw. die Einladung zum „Islam” als Religion, Weltbild und System. In der Praxis ist dies folglich nicht nur eine spirituell-religiöse Einladung , sondern ein Bekehrungsmodell zu einem ganzheitlichen kulturellen und oft politischen Lebensweg.
Daʿwa wird heute oft in zwei Kategorien eingeteilt:
- externe Daʿwa: gerichtet an „Nichtmuslime” – oft apologetisch, rhetorisch geschult, strategisch auf Konversion angelegt, teils manipulative Sprache (Rhetorik z.B: „Nimm jetzt den Islam an, vlt. stirbst du morgen.”)
- interne Daʿwa: gerichtet an (nichtpraktizierende/fehlgeleitete „Muslime” – disziplinierend, regulierend, rückführend zum „ursprünglichen Islam” (vgl. Tablighi Jamaat)
Das Ziel ist eine Art Normierung – ein Islambild mit festen Konturen. Manche Kreise legen auch Wert auf eine indirekte subtilere Daʿwa etwa durch einen guten Charakter oder auch durch Erfolg.
In der klassischen Geschichte – etwa unter den Umayyaden oder frühen Abbasiden – war „Islam” keine Religion mit universalemMissionsanspruch, sondern vor allem ein Macht– und Ordnungssystem.
Das damalige Mawālī-System zeigt:
Nichtarabische Zuschreibungen zum Islam wurden nicht aktiv gefördert – im Gegenteil, es wurde vermutlich teils zum Problem:
„Konvertiten” zahlten deshalb i.d.R. weiter entweder die Kopfsteuer (Jizya) oder andereSteuern, obwohl sie „Muslime” waren. Ein Interesse an der aktiven Mission von „Nichtmuslimen” war schlichtweg nicht existent.
„Islam” bedeutete Zugehörigkeit zur Herrschaftsidee und dem Herrschaftsbereich (das zeigen auch viele Rechtsdiskurse in diesem Rahmen), nicht „Mitgliedschaft in einer Religion”. Die Begriffe „Religion”, „Konversion” sowie„Nichtmuslim” sind ohnehin moderne Kategorien, die erst in heutigen Daʿwa-Diskursen zentral wurden.
In benannten Daʿwa– Kreisen ist man sich heute fast einig: Der Koran und der Prophet bilden eine Botschaft, die für die gesamte Menschheit damals, heute und in Zukunft bestimmt ist.
Zwar beinhalten bestimmte Koranverse und Hadithe Andeutungen einer universellen Ansprache – doch beziehen sich diese meist auf ethische Grundsätze, die die engen Schranken der damaligen Stammesgesellschaftdurchbrechen sollten. Ihre Universalitätliegt eher in der Reichweite ihrer moralischen Relevanz als in einem konkreten Missionsanspruch. Dass daraus ein verpflichtender „Bekenntnis-Islam” für die gesamte Menschheit abgeleitet wurde, ist dementsprechend eine spätere Rückprojektion – theologisch nachgerüstet und politisch aufgeladen, aber von den damaligen Erstadressaten kaum in diesem globalen Sinn verstanden worden.
Auch in der hanafitischen Rechtsliteratur finden sich Überlegungen, die gegen einen pauschalen Universalanspruch sprechen. So diskutieren Al-Sarakhsi und Al-Kasani, ob Menschen in fremden Herrschaftsgebieten, die nie von der Botschaft erfahren haben, überhaupt rechtlich zur Verantwortung gezogen werden können. Sie betonen, dass ohne Kenntnis keine Verpflichtung bestehe – was zeigt, dass selbst innerhalb klassischer Gelehrsamkeit eine globale Adressierung der Botschaft nicht als selbstverständlich vorausgesetzt wurde.
Al-Amidi merkte im 13. Jhd. an, dass ein beachtlicher Teil der Hanafiten, Aschariten und Mutazila die Ansicht vertraten, dass koranische Ansprachen, auch die offen anmutenden wie „O ihr Menschen”, und die damit verbundenen Gebote vornehmlich, wenn nicht sogar ausschließlich für die Zeitgenossen des Propheten galten bzw. verbindlich waren.
Die Geschichte zeigt also: Es gab keine einheitliche Grundlage für eine Bekehrung oder Mission der gesamten Menschheit.
Erst mit dem Kolonialismus, u.a. z.B. in Indien, kam der Wandel.
Christliche Missionare, die Teil der kolonialen Struktur waren, kritisierten öffentlich „das konstruierte Andere”, was für sie u.a. „der Islam” war. Mit der Zeit reagierten vor allem sunnitische Gelehrte zunehmend. Gegenseitige Mission, aber auch Dialog erwuchsen.
Apologetische Literatur entstand, u. a. von Rahmatullah Kairanawi. Aber auch von Mirza Ghulam Ahmad.
In dieser Phase entstand das Bedürfnis, den „Islam” intellektuell zu erklären, zu rechtfertigen und gegenüber einem ebenfalls konstruierten Anderen (z.B. etabliert sich der Begriff „Nichtmuslim”, den wir in älteren Sprachgebräuchen so nicht finden, immer mehr) zu verteidigen.
Doch aus dieser beflügelnden Verteidigung wurde ein strategischerUmschwung:
Was einst Selbstschutz war, wurde zum Exportmodell und zu einer Spiegelung des kolonialen Vorgehens.
Mit Bewegungen wie der Ahmadiyya (die zunehmend als Häretiker von sunnitischen Gremien gesehen wurden), den Muslimbrüdern um Hasan al-Banna , den Salafiyya sowie Denkern wie Rashid Rida und später Qaradawi entstand ein neuer Begriff von Daʿwa.
Daʿwa wurde:
- systematisiert und methodisiert (je nach Schwerpunkt der jeweiligen Bewegung)
- geopolitisch aufgeladen (Einteilung der Welt: Dar al-Daʿwa statt pauschal Dar al-Kufr, sprich nichtmuslimische Herrschaftsbereiche als Boden der Mission),
- und mit einem eschatologischenSendungsbewusstsein versehen. („Islam wird siegen, mit oder ohne dich”, oft Einbettung in die zukünftige Erscheinung des Mahdis und der Wiederkunft Jesu)
- Der Islam wurde zunehmend als vollständige Lebensordnung, als ideologisches Gegenmodell zum „Westen” gehandelt.
Heute ist Daʿwa ein globaler Markt religiöser Bedeutungsproduktion:
- Akademisierung: Universitäten (Daʿwa als Fach), Akademien bilden weltbekannte Redner oder Daʿwa-Prediger aus, die in ihren Heimatländern, Abroad oder weltweit eingesetzt werden.
- Investitionen: Staaten wie z.B. Saudi-Arabien oder Katar investieren in Daʿwa-Zentren oder Moscheen weltweit und promoten oftmals ihr Islamverständnis.
- Marketing: YouTube-Influencer vermarkten Daʿwa, schalten Werbung.
- Emotionalisierung: TikTok-Clips, aber auch (Daʿwa)-Nasheeds, etc. setzen auf Emotionen.
- Lifestyle: Daʿwa als „Way of Life“ mit klar codierter Gruppenzugehörigkeit und Symbolkraft nach außen: z.B. durch Kleidung, Datteln, Kuffiyah-Tuch (kein Problem mit Kuffiyah an sich 😉), Kombis wie z.B.: Gym & Gebet.
Zentrale Koranverse, Hadithe aber selbst Aussagen klassischer Gelehrter werden heute rückprojiziert, um die moderne Daʿwatheoretisch zu stützen, darunter: universeller Missionsaufruf, Hölle für Nichtmuslime, die Verpflichtung eines jeden Einzelnen Daʿwa zu machen.
Doch historisch war Daʿwa allenfalls:
- ein moralischer Aufruf
- oder eben: ein politischer Ruf zum Machtumschwung (z.B. unter Abbasiden)
- ein elitärer Gelehrten-Diskurs,
- meist auf Häresien und Erneuerungen(Bidʿa) bezogen,
- nie ein Massenprogramm mit universalerIntention.
- Es existiert keine eigentliche Missionstradition – in keiner Konfession (SuShi) und auch nicht im Leben darin verehrter Persönlichkeiten. Ferner wird oft diskutiert, ob „der Islam“ mit dem Schwertmissionarisch verbreitet wurde, doch betrifft dies genauer gesagt die politische Expansionarabischer oder später anderer Dynastien, die ihr jeweiliges Islamverständnis als Machtinstrument nutzten (vgl. Slide zur Praxis der Umayyaden). Oft geschah Verbreitung im Rahmen interkultureller Austausche durch Händler und Kaufleute – nicht durch aktive Daʿwa im heutigen Sinn.
Die heutigen Daʿwa-Bewegungen konstruieren einen Ursprung, den es so nicht gegeben hat – sie schreiben heutige Ideologie zurück in Texte, die andere Kontexte, Adressaten und Zielsetzungen hatten.
Besonders in Europa sehen einige Akteure Daʿwa als eine Form der symbolischen Genugtuung:
– „Ihr habt uns kolonisiert – jetzt zeigen wir euch den wahren Weg.“
Aber was wie Widerstand wirkt, ist oft nur die Umkehrung einer ähnlichen Logik:
– universaler Wahrheitsanspruch
– Wunsch nach Vereinheitlichung
– Identität durch Abgrenzung
Die moderne Daʿwa ist keine Rückkehr zum Prophetentum. Sie ist wohl eher:
– eine Antwort auf koloniale Bestrebungen mit ihren Kategorien und Konzepten (Religionsbegriff, „Islam” als Ideologie, „Islam” als Gruppenzugehörigkeit, Aufgreifen von Ideen wie z.B. moderne Wissenschaft und Koran)
– ein Produkt apologetischer Rhetorik
– ein Instrument kultureller Selbstbehauptung
– in ihrem Auftreten und Strukturen sehr ähnlich zu christlichen Pendants.
Natürlich gibt es Menschen, die unter Daʿwa das Informieren über ihr Islamverständnis verstehen würden oder das Abbauen von Vorurteilen , Aufklärung, oder einfach gutes Verhalten ohne bewusste Bekehrungsmotivation.
Auf der anderen Seite können oft gut gemeinte und subtile Formen unbewusst Muster reproduzieren:
Feine Überlegenheitsgesten, unterschwellige Bekehrungsabsicht – sogar im interreligiösen Dialog oder bei der Mitgliedschaft im Rat der Religionen.
Weiterführende Literatur:
Al-Ajmi, The Umayyads
Al-Amidi, Al-Ihkam
Al-Banna, Dawatuna
Al-Sarakhsi, Al-Mabsut
Al-Kasani, Badai Al-Sanai
Crone, God’s Caliph. Religious Authority in the First Centuries of Islam
Mirza Baschir ud-Din Mahmud Ahmad, Der wahre Islam
Mohammad Hasan Khalil, Is Hell Truly Everlasting?
Kairanawi, Izalat-asch-schukuk
Philips, Dawah Training Program
Wood, Rashid Rida’s modernist defense of Islam
Heute begehen viele Sunniten, Schiiten und Aleviten den Tag von Aschura.
Für eine große Anzahl von Sunniten ist es ein Tag der Dankbarkeit und der freudigen Erinnerung an die Rettung der Hebräer aus Ägypten, angeführt von Moses.
Gleichzeitig wird das Fasten am 10. Muharram (Hidschri-Kalender) als eine Art Sühne für Verfehlungen des vergangenen Jahres verstanden.
Der Tag wurde jedoch durch ein anderes Ereignis überschattet:
Husain, der Enkel des Propheten Mohammed, wurde am 10. Muharram in der Schlacht von Karbala grausam getötet.
Für die Umayyaden-Dynastie war er ein Aufständischer – für Schiiten und Aleviten wurde sein Tod zum Symbol des ethischen Widerstands gegen Tyrannei.
Der Tag wandelte sich für viele – vom Freudentag zum Tag der Trauer, Mahnung und spirituellen Wachsamkeit.
• Schiiten begehen den Tag mit Trauermärschen, Gedenkversammlungen und teils Selbstgeißelung – letzteres ist inner-schiitisch umstritten.
• Aleviten gedenken eher still – eingebettet in den zwölftägigen Matem–Fastenzyklus, mit Fokus auf die ethischen Ideale, für die Husain stand.
• Auch viele Sunniten ehren Husain und bedauern seinen Tod – doch meist ohne ritualisierte Trauerformen.
Besonders bedeutend für Aleviten ist auch Zayn Al-abidin, Sohn Husains, der als einziger männlicher Nachkomme Karbala überlebte.
Er war krank, kämpfte nicht, wurde verschont – und trug als stiller Träger des Traumas das geistige Erbe der Prophetenfamilie weiter.
Seine Haltung der Geduld, Demut und inneren Stärke ist vielen Aleviten Vorbild für die richtige Reaktion auf Leid und Ungerechtigkeit.
Aschura war bereits vor Mohammed ein Fastentag unter den Mekkanern.
Mehrere Hadithe führen an: Mohammed und die Kuraisch fasteten ihn noch vor Etablierung Ramadan-Fastens.
Die konkrete Bedeutung des Tages bei den alten Arabern ist jedoch nicht überliefert – sie könnte jüdisch beeinflusst gewesen sein.
Das arabische Wort Aschura bedeutet schlicht „der zehnte (Tag)“ – gemeint ist der 10. Muharram.
Nach der Auswanderung nach Medina begegnete der Prophet jüdischen Stämmen, die an diesem Tag fasteten – zur Erinnerung an den Exodus.
Mohammed, der sein reformerisches Wirken in einer Linie mit Moses sah, fastete ebenfalls mit diesem neuen Bewusstsein mit seinen Weggefährten.
Damit wurde Aschura zu einem Tag, an dem prophetisches Selbstverständnis mit jüdischer Überlieferung verschmolz – und zugleich neu akzentuiert wurde.
👉 Rituale entstehen nie im luftleeren Raum.
Sie sind Zeugnisse kultureller Nähe – und zeigen, wie eng Juden und Araber als Brüdervölker miteinander verwoben waren.
Gemäß einer Überlieferung sagte Mohammed, dass er im kommenden Jahr auch einen Tag vor Aschura fasten würde.
→ Das macht vermutlich nur Sinn, wenn Juden und Araber damals einen ähnlichen Kalender hatten.
→ Zu jener Zeit war der unter den Arabern bekannte Kalender noch nicht rein lunar – ähnlich wie im jüdischen lunisolaren Kalender. Erst später entwickelten sich die Kalendersysteme auseinander.
Wenn Mohammed mit den Juden einen Gedenktag teilte, welcher war es?
• Pessach?
→ Ja, wegen der Exodus-Thematik,
→ aber: eigentlich kein jüdischer Fastentag – passt inhaltlich, aber nicht formal.
• Yom Kippur?
→ Fastentag (als einziger in der Tora verordnet und auch außerhalb Kanaans bekannt) am 10. Tischri, mit Fokus auf Sühne, Vergebung, Umkehr.
→ In einem Hadith heißt es, dass das Fasten an diesem Tag die Verfehlungen des Vorjahres tilgt – ähnlich wie Yom Kippur.
Manche wenige rabbinischen Traditionen verbinden Yom Kippur mit zwei Ebenen der Befreiung:
→ Yom Kippur als spirituelle Fortsetzung des Exodus: Nicht nur aus der Knechtschaft, sondern aus der Verfehlung. Yom Kippur als Tag des zweiten Erhalts der Gebote nach dem Exodus und nach der Umkehr.
→ Das erklärt vlt., warum auch jüdische Gemeinden in Arabien den Tag als Exodus-Gedenken verstanden haben könnten – inklusive Fasten.
Was war/wurde Aschura also?
Mehrere plausible Möglichkeiten:
- Jüdische Gruppen in Arabien verknüpften Exodus und Yom Kippur zu einem kombinierten Gedenk– und Fastentag – eine lokale Sondertradition, die vom Rabbinischen abwich.
- Mohammed übernahm den von jüdischenGruppen geäußerten Exodusbezug, verstand sich selbst in der Linie Moses – und machte den Tag zum eigenen Fastenbrauch seiner Gemeinschaft, mit späterer Weiterentwicklung.
- Das Aschura-Fasten war bereits bei den Mekkanern bekannt und wurde durch die Begegnung mit jüdischer Praxis in Medina neu gedeutet und aufgeladen.
Weiterhin ist denkbar, dass:
- Die jüdische Aussage gegenüber dem Propheten eine vereinfachte oder volkstümlicheInterpretation war (Juden in Arabien waren teils arabisiert, keine große rabbinische Tradition)
- Der Brauch an diesem Tag zu fasten nicht exakt im rabbinischen Sinne verortet war,
- Der Exodusbezug auf eine nicht-kanonische Verbindung beruhte, die in Arabien tradiert wurde.
- Es einen Fehler in der Überlieferung gibt.
Jedenfalls war die Aussage der Juden für Mohammed sinnvoll und sinnstiftend und ein Zeugnis von Dialog und interkulturellem Lernen. Aschura entstand so vermutlich aus einer Kombination verschiedener Traditionen und Deutungen.
Unabhängig davon, wie man Aschura verorten mag, es erinnert daran:
• Unrecht zu benennen – wie bei Karbala,
• Freiheit zu ehren – wie beim Exodus,
• sich zu reflektieren – wie an Yom Kippur.
PUBLIKATIONEN
Sumaya gehörte zu den ersten Personen, die sich in Mekka öffentlich zu Mohammed bekannten. Doch über sie und die Perspektive einer Frau auf das Wirken Mohammeds wird meiner Ansicht nach immer noch zu wenig gesprochen. Mit diesem Roman möchte ich das ändern. Dabei ist das vorliegende Werk keineswegs nur ein Standardwerk der Religionsgeschichte. Die Erzählung greift neben geschichtlichen Aspekten Themen wie gesellschaftlichen Wandel auf und insbesondere die Bemühung Sumayas, sich für die Belange der Frauen einzusetzen. Auf ihrer Reise geht es ferner auch darum zu entdecken, was den Kern von Befriedung (arab. „islam”) ausmacht. Wenn dieses Werk inspiriert, zum Nachdenken anregt und einen Perspektivwechsel für die Herausforderungen von heute unterstützt, dann ist meine Intention erfüllt.